In der Interviewreihe „Circular Competence“ befragt der VDMA Fachverband Druck- und Papiertechnik seine Mitgliedsunternehmen zu ihren Plänen, Lösungen und Herausforderungen auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft. Was kann die Branche dazu beitragen, den ökologischen Fußabdruck von Verpackungen und anderen Druckerzeugnissen zu minimieren?
Dr. Eva Boll, die Leiterin des Bereichs Corporate Sustainability bei Heidelberg, erläutert im Interview, wie der Konzern vorgeht, um die Selbstverpflichtung zur Klimaneutralität bis 2030 zu erfüllen.
Bis Mitte des Jahrhunderts wollen die führenden Industrienationen klimaneutral wirtschaften. Ist diese Zielsetzung aus Ihrer Sicht realistisch?
Dr. Eva Boll: Angesichts des fortschreitenden Klimawandels und der weltpolitischen Lage, die uns unsere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern schmerzhaft bewusst macht, sehe ich das Ziel als durchaus realistisch an. Allerdings fordert es den Industrienationen massive Transformationsanstrengungen ab.
Was unternimmt Heidelberg, um die eigene Produktion klimaneutral zu stellen?
Dr. Eva Boll: Angesichts der Selbstverpflichtung zur Klimaneutralität bis 2030 stellen wir sämtliche Prozesse auf den Prüfstand. Heidelberg fängt nicht bei null an. Wir haben seit einigen Jahren ein Umweltmanagementsystem, sind nach 14001 zertifiziert und haben schon vor Jahren klare Umweltziele für unsere Fertigungsstandorte definiert, die wir durch kontinuierliche Verbesserungsprozesse umsetzen.
Es geht vor allem um Energieeffizienz, die in der Regel direkt mit Treibhausgas-(THG)-Emissionen verknüpft ist. Mit Blick auf unser Ziel für 2030 erarbeiten wir ein Transformationskonzept, das die veränderten politischen Rahmenbedingungen berücksichtigt. Auch die Politik gibt ja klar vor, dass wir klimaneutral werden müssen. Das zwingt uns, jeden Prozess zu hinterfragen. Wir führen an allen Produktionsstandorten Potenzialanalysen durch, mit denen wir den THG-Ausstoß senken können. Jede eingesparte Kilowattstunde zählt.
“Angesichts der Selbstverpflichtung zur Klimaneutralität bis 2030 stellen wir sämtliche Prozesse auf den Prüfstand.”
Zudem werden wir die Eigenproduktion von erneuerbaren Energien steigern. Photovoltaikanlagen haben wir bereits, sehen hier aber noch viel Potenzial. Der Zukauf von grüner Energie ist eine weitere Option. Dagegen sehen wir den Ankauf von THG-Zertifikaten für die Neutralstellung unserer Produktionsstandorte kritisch.
Kompensation kommt nur für unvermeidbare Emissionen in Frage – für eine Übergangsfrist bis 2040. Spätestens ab dann wollen wir aus eigener Kraft klimaneutral wirtschaften. Wie herausfordernd das Ziel ist, sehen wir aktuell an unserem mit Erdgas betriebenen Blockheizkraftwerk zur Erzeugung von Strom und Wärme. Es gilt, schnell eine neue Lösung zu finden. Ob Wasserstoff in Frage kommt, Biomasse oder eine Wärmepumpe, wird zu klären sein. Was uns aktuell hilft: Wir haben in den letzten Jahren viele Energieeffizienzkonzepte entwickelt, die wegen niedriger Energiepreise wirtschaftlich nicht umsetzbar waren.
Aus diesem Fundus schöpfen wir nun und heben sämtliche Potenziale: Grüner Strom für die elektrischen Schmelzöfen unserer Gießerei, optimierte Druckluft-, Antriebs- und Trocknungstechnik bis hin zur LED-Beleuchtung. Auf der Suche nach Lösungen tauschen wir uns mit Partnern aus der Forschung und unseren Netzwerken aus, um von ihren Best-Practices zu lernen.
Wie unterstützen Sie Ihre Kunden dabei, energieeffizienter zu produzieren?
Dr. Eva Boll: Auch hier können wir uns auf jahrelange Erfahrungen stützen. Wir führen seit 2012 Lebenszyklusbetrachtungen unserer Produkte durch und bieten unseren Kunden seit vielen Jahren an, ihre Maschinen über Ausgleichszertifikate klimaneutral zu stellen.
In unserer Entwicklung unterziehen wir Neuentwicklungen generell einem ökologischen Produkt-Review, in dem wir neben der Compliance mit Umweltgesetzten im Zielmarkt auch die Energieeffizienz in den Fokus nehmen. Diese Bemühungen zeigen Wirkung: Um mit unseren Maschinen 1.000 Bogen zu bedrucken, benötigen unsere Kunden im Schnitt 40 Prozent weniger Energie als noch vor 20 Jahren.””
“Auch die Reduktion von Makulatur und effizientere Trocknungstechnologien stehen auf der Agenda.”
Auf Wunsch statten wir die Maschinen mit Energiemessgeräten aus, um Transparenz zu schaffen. Auch bieten wir gezielte Beratung an, um ihnen energieeffiziente Betriebsstrategien zu vermitteln. Dazu zählt, schneller zu drucken, weil die Grundlast hierbei auf mehr Output verteilt wird. Großes Augenmerk liegt zudem auf effizienter Antriebstechnik, die angesichts sinkender Auflagen und häufigerer Starts und Stopps wichtig ist.
Auch die Reduktion von Makulatur und effizientere Trocknungstechnologien stehen auf der Agenda. Bei Letzteren geht es um den Einsatz von UV-LEDs im UV-Druck, von Turboradial- statt Seitenkanalgebläsen oder um reduzierte Abstände zwischen Bogen und Trockner. Auch können mit der von uns eingeführten Push-to-Stop-Philosophie Rüstzeiten verkürzt werden, was ebenfalls Energie spart. Tatsächlich fragen immer mehr Kunden nach Effizienzlösungen, weil auch ihre Kundschaft genauer hinsieht und die Nachfrage nach klima- und umweltfreundlichen Druckerzeugnissen rasant steigt.
Welche Rolle spielt das Thema in Ihrer Forschung und Entwicklung?
Dr. Eva Boll: Das bereits angesprochene ökologischen Produkt-Review ist seit 2013 fest in unseren Leitlinien verankert. Jedes Entwicklungsprojekt durchläuft es. So ist sichergestellt, dass jedem Projekt auch ökologische Kriterien zugrunde liegen.
Daneben treiben wir Projekte voran, die den Fokus auf die Energieeffizienz legen. Wir agieren seit vielen Jahren in engen Partnerschaften mit unseren Zulieferern, weil sich Innovationen und die Integration effizienterer Lösungen in der Regel auf die Bauräume auswirken. Das sorgt für Abstimmungsbedarf. Unsere Partner geben uns auch Hinweise, wenn sich in ihrem Bereich regulatorische Neuerungen ankündigen, damit wir frühzeitig Lösungen entwickeln können. Das gilt natürlich auch für die Klimaneutralität über die gesamte Lieferkette hinweg.
“Daneben treiben wir Projekte voran, die den Fokus auf die Energieeffizienz legen.”
Die Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten und Hochschulen ist ebenfalls wichtig – sowohl mit Blick auf technologische Innovationen als auch für Fragen der Umwelt- und Klimabilanzierung. Weil es hier an verbindlichen Standards fehlt, engagieren wir uns unter dem Dach des VDMA in Standardisierungsgremien.
Was wünschen Sie sich von Gesetzgebern auf dem Weg zur Klimaneutralität?
Dr. Eva Boll: Die Industrie braucht Planungssicherheit und verbindliche Regeln, die länger als eine Legislaturperiode gültig bleiben. Kompromisse zwischen Versorgungssicherheit und Reduktionszielen sowie praktikable Förderangebote sind gefragt. Grundsätzlich hat die EU mit dem „Green Deal“ die richtige Richtung vorgegeben. Auch hierzulande gibt es bezüglich der Klimaziele weitgehend Einigkeit.
“Die Industrie braucht Planungssicherheit und verbindliche Regeln, die länger als eine Legislaturperiode gültig bleiben.”
Allerdings führt uns die aktuelle Notwendigkeit, den Erdgasmangel mit Kohle zu kompensieren, vor Augen, welche Herausforderungen die Transformation birgt. Für Unternehmen, die noch nicht in den europäischen Emissionshandel involviert sind, bringen Regularien wie die Corporate Sustainability Reporting Direktive und die neue EU-Taxonomie große Veränderungen mit sich. Sie stehen zunehmend unter Zugzwang, ihre THG-Emissionen zu minimieren und ihre Maßnahmen zu dokumentieren.
Bei aller Kritik an der Taxonomie, die auch uns vor Probleme stellt, da sie große Teile unserer Wirtschaftstätigkeiten außer Acht lässt, halte ich den eingeschlagenen Weg im Prinzip für richtig. THG-Emissionen und der ökologische Fußabdruck von Produkten müssen erst erfasst werden, um sinnvolle Reduktionsstrategien entwickeln zu können. Im Maschinen- und Anlagenbau besteht die Bereitschaft dazu. Unsere Branche ist längst aufgebrochen und treibt mit großer Ernsthaftigkeit ingenieurtechnische Lösungen für eine klimaneutrale Industrie voran. Wir von Heidelberg forcieren diese Entwicklung aktiv.