Die digitale Revolution hat in der Etikettenindustrie große Umwälzungen verursacht. Ein Rückblick auf das letzte Vierteljahrhundert zeigt, wie weit wir in Drucktechnik und Betriebsorganisation gekommen sind. John Penhallow betrachtet die letzten 25 Jahre.
Erstaunlich ist bei den vor 25 Jahren waltenden Herstellern von Etikettendruckmaschinen, dass viele auch heute noch an der Spitze sind. Andere (wie Etipol, Kopack, Malbate oder Webtron) sind längst von der Bildfläche verschwunden oder (wie Aquaflex oder GiDue) einer Akquisition zum Opfer gefallen. Anhand der Beispiele dreier „Überlebender“ untersuchen wir, wie Etikettendruckmaschinen-Hersteller ein Vierteljahrhundert lang alle Stürme überstehen können.
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Ein Wikinger im Schmalbahn-Drakkar
Heute muss jedes anständige Startup-Unternehmen behaupten, es wäre in einer Garage gegründet worden. Nicht so Nilpeter, dessen Gründer Christian Nielsen und Axel Petersen ihr Unternehmen in einer dänischen Kneipe planten. In den 70er Jahren hat das Unternehmen eine der ersten Rotations-Flexodruckmaschinen für Etiketten entwickelt: die „Rotolabel“ mit sechs Flexodruck- sowie Rotations- oder Flachstanzwerken. Des Weiteren bot der dänische Hersteller eine, damals brandneue, sogenannte „Letterflex“-Maschine, UV-Flexodruckfarben, eine Kombinationsmaschine mit Sieb- und Buchdruck sowie Inline-Heißprägefoliendruck. 1994 brachte Nilpeter dann die “erste echte Plattformdruckmaschine der Welt” auf den Markt, die Offset-, Flexo-, Tief- und Siebdruck miteinander kombiniert.
Das Unternehmen war auch ein Pionier auf dem Gebiet der UV-Flexo-Entwicklung und bot die Möglichkeit, diese Technologie mit konventionellem Flexodruck zu kombinieren. 1996 stieg Nilpeter durch eine Allianz mit Xeikon in den Digitaldruck ein und stellte das DL-3300 Direct-Imaging-System vor. Dieses Projekt war für Nilpeter technisch genauso erfolgreich wie eine spätere Zusammenarbeit mit Caslon, allerdings war die Marktakzeptanz schwach.
Im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts lancierte Nilpeter mehrere Innovationen, darunter direkte Servoantriebe, Kühltrommeln sowie fortschrittliche IT (die alle in den MO-4 und FA-Serien inbegriffen sind) und entwickelte dann 2015 die komplette hybrid-digitale Lösung Panorama.
Fruchtbares Zusammenwirken von Schweizern und Deutschen
Anfang der 90er Jahre war die Firma F. Rüesch in Sankt Gallen schon gut etabliert. „Gallus“ war damals eine Marke – und das ist sie inzwischen als Teil von Heidelberg wieder geworden. Ferdi Rüesch, Inhaber der gleichnamigen Firma, befand sich damals in Verhandlungen mit Arsoma, einem in Langgöns ansässigen Hersteller von Flexodruckmaschinen. Der Schweizer wurde auf die von Dieter und Siegfried Arabin entwickelte und damals noch junge Flexodrucktechnologie aufmerksam. 1992 wurde eine Partnerschaft in Form einer finanziellen Beteiligung begründet, die 1998 zur vollen Übernahme der Arsoma durch die Schweizer Gruppe führte. Auch nach der Übernahme ihres Unternehmens durch Gallus blieb die Beziehung und Partnerschaft zwischen den Brüdern Arabin und Gallus intensiv und freundschaftlich.
Der 2016 verstorbene Dieter Arabin hat zusammen mit seinem Bruder viele Spuren in der Entwicklungsgeschichte von Gallus und in der Etikettenindustrie hinterlassen. Dazu zählen u.a. die modulare Gallus EM 280 Maschinenplattform, sowie seine Vorstellung einer hochautomatisierten und bedienerfreundlichen voll Servo-angetriebenen Maschine, die später als Gallus RCS Serie vermarktet wurde.
Mitte der 90er Jahre entwickelte das israelische Unternehmen Indigo in Kooperation mit Gallus die DO330, eine „Digitale Offsetdruckmaschine für die wirtschaftliche Herstellung von Farbetiketten in kleinen Auflagen von weniger als 100.000 Stück“. Die Maschine war vielleicht nicht ganz verlässlich, oder der Markt noch nicht reif. Auf alle Fälle war Gallus ein „gebranntes Kind“ und hat fast zwanzig Jahre gewartet, um erneut im Digitaldruckbereich tätig zu werden. Erst während der Gallus Innovation Days im Herbst 2014 hat der Schweizer, dieses Mal in Zusammenarbeit mit Fuji und Heidelberg, eine Digitaldruckmaschine enthüllt.
Mark Andy – gleichbleibender Name, wechselnde Inhaber
Als Mark Andrews 1946 in dem amerikanischen Staat Missouri in seinem Keller seine erste Druckmaschine gebaut hat, waren Selbstklebeetiketten kaum mehr als eine verrückte Idee im Gehirn von R. Stanton Avery. In den darauf folgenden Jahrzehnten erschienen mehrere Etikettendruckmaschinen unter der Marke Mark Andy. Genau vor 25 Jahren kam die erste „computerintegrierte“ Druckmaschine von Mark Andy mit Berührungsbildschirm, was für damalige Verhältnisse ein Wunder war, auf den Markt. 1995 wurde das Unternehmen, bis dahin in Familienbesitz, an die Dover Corporation verkauft und übernahm im Laufe der Jahre Comco und Rotoflex. 2006 erlitt die Gruppe erneut einen Inhaberwechsel durch Morgenthaler.
„1946 waren Selbstklebeetiketten kaum mehr als eine verrückte Idee im Gehirn von R. Stanton Avery.“
2009 erschien die heute noch gut bekannte Performance Series. Später folgten neue Stanzaggregate und 2013 das LED-Trocknungssystem ProLED. Im selben Jahr wurde Mark Andys erste Hybrid-Digitaldruckmaschine auf den Markt gebracht. Nach einem weiteren Besitzerwechsel im Jahre 2014, als der Inder P.J.Desai die Mehrheit übernahm, erfolgte mit der Einstiegsmaschine Digital One, eine CMYK-Inkjet-Lösung mit Toner-Technologie von Konica-Minolta und Inline-Verarbeitung, und die „Digital Series“ mit Flexo, Inkjet und Verarbeitung – ein weiterer Sprung in die Digitaltechnologie.
1993 – eine andere Welt
Der Flexodruck war 1993 bereits die gängigste Drucktechnologie, obwohl Offset die beste Druckqualität bot und viele Etikettenverarbeiter noch mit Buchdruckmaschinen arbeiteten. UV-Trocknung war stark im Kommen. Von LED-Trocknung und Laserstanzen war noch nicht einmal die Rede. Es wird geschätzt, dass im Jahr 1993 das Internet lediglich 1% der Informationsflüsse des weltweiten Kommunikationsnetzes ausmachte (heute sind es 90%). Von Cloud Computing war noch nicht die Rede.
Die Technologie, die diese 25 Jahre von 1993 bis 2018 am meisten beeinflusst hat, ist eindeutig der Digitaldruck. Auf der IPEX-Messe 1993 hat Benny Landa seine E-Print 1000 vorgestellt. Ein Vierfarbendrucker mit Flüssigtoner und ein Computer-to-Print-System ohne Druckplatten, das war fast nicht zu glauben! In den Jahren nach 1993 war Landa auf vielen Gebieten, auch in der Etikettenbranche, aktiv und stellte in Zusammenarbeit mit Gallus die allererste digitale Etikettendruckmaschine auf der Labelexpo aus. „Ein Ungeheuer, kostete ein Haufen Geld, niemand hat diese neue Technologie ernst genommen“ erinnert sich ein Besucher. Nur Landa glaubte an die sogenannte Elektro-Offset-Technologie, entwickelte sie weiter und verkaufte sein Unternehmen 2002 für $830 Millionen an Hewlett Packard.
„Der Flexodruck war 1993 bereits die gängigste Drucktechnologie, obwohl Offset die beste Druckqualität bot.“
Zurück in das Jahr 1993 und zur IPEX-Messe, auf der auch die Xeikon DCP-1 und die Agfa Chromapress zum ersten Mal erschienen. Xeikon und Agfa verfolgten einen anderen Weg: Ihre Farben waren nicht flüssig wie bei Indigo, sondern in Pulverform. Ende der 90ger Jahre, Indigo und Xeikon waren gerade dabei, neue Märkte im Schmalbahnbereich zu erschließen. Dann erschien der Tintenstrahldruck mit voller Wucht auf der Szene.
Seit den 60er Jahren spielte man mit dieser Technologie hin und her, konnte aber keine zufriedenstellende Druckqualität zu einem erschwinglichen Preis erzielen. Der springende Punkt für die Etikettenbranche war die Entwicklung der Drop-on-Demand (DOD) Technologie zum Piezo-Verfahren (Piezo-Drucker nutzen den sogenannten „inversen Piezo-elektrischen Effekt“ zum Pressen der Tropfen durch eine feine Düse, deren Größe sich mit einem angelegten elektrischen Impuls steuern lässt).
Ein Vorreiter im Etikettenbereich war Epson, aber sehr bald erschienen Inkjet-Druckmaschinen haufenweise von mehreren Herstellern. Auf der Labelexpo 2013 waren es über dreißig, zwei Jahre später sogar schon vierzig Modelle. Und waren die Hersteller dieser Systeme alle einsame Spitze auf dem Gebiet der Drucktechnologie? Keineswegs! Das technische Know-How war im Druckkopf eingebettet und hier gab es nicht vierzig sondern höchstens fünf Hersteller weltweit. Mit einem angepassten Druckkopf konnte (fast) jeder in seiner Garage eine Etikettendruckmaschine zusammenbasteln.
„Das technische Know-How war im Druckkopf eingebettet und hier gab es nicht vierzig sondern höchstens fünf Hersteller weltweit.“
Die ersten Druckköpfe waren recht launisch: die Druckfarben neigten zum Eintrocknen, die Düsen mussten regelmäßig gereinigt werden, viele Farben waren nicht lichtfest und man konnte sowieso nur auf besondere, homologierte Substrate drucken. Launisch sind die Köpfe noch immer, allerdings in kleinerem Ausmaße. Eine Reinigung im Kreislauf und immer feinere Düsen führen heute zu einer höheren Druckqualität und verminderter Wartung. Außer Epson gehören im Etikettenmarkt Domino, Durst, Konica Minolta und Mouvent (Filiale von Bobst) zu den führenden Herstellern von Inkjet-Druckmaschinen.
Hybride Lösungen
Ursprünglich waren damit Tiere wie das Maultier gemeint, dann Autos wir die Tesla, und zuletzt Druckmaschinen mit sowohl konventionellen als auch digitalen Druckwerken. Die ersten Versuche, diese zwei Technologien zu kombinieren, waren zum Scheitern oder bestenfalls zum Halb-Erfolg verurteilt. Zu langsam, zu kompliziert, zu fremd. Der Etikettenverarbeiter war nicht daran interessiert. Erst 2015 kamen die ersten wirklich brauchbaren Hybrid-Druckmaschinen auf den Markt. Omet mit der X-Flex X6, Nilpeter mit der Panorama und Gallus mit der ECS 340 (jetzt in ‚Labelfire’ umbenannt) haben bewiesen, dass Hybrid-Produkte zukunftstauglich sein können.
Workflow, Druckvorstufe und Produktivität
Arbeitsablaufverwaltung, besser als Workflow-Management bekannt, ist mit der digitalen Revolution in den täglichen Wortschatz des Etikettenverarbeiters aufgenommen worden. Das Konzept ist nicht neu, als Begründer gilt Frederik Taylor schon vor dem ersten Weltkrieg, aber erst die Digitalisierung des gesamten Produktionsablaufs ermöglichte es, Druck- und Verarbeitungsprozesse in Echtzeit zu steuern.
Vor 25 Jahren steckte die Automatisierung der Druckvorstufe noch in den Kinderschuhen. Die Firma Barco, Vorgänger von Esko, bot bereits 1993 eine „Lösung für die Verbindung von elektronischen Zeichnungen mit hochauflösenden Bildern für die Fertigung von Etiketten, die den Bereich bis hin zur Druckplatten/Zylinder-Ausgabe umfass“. Heute ist auch für „konventionelle“ Drucktechnologien die computergesteuerte Ablaufverwaltung nicht wegzudenken. Die Aufbereitung von Flexodruckplatten, zum Beispiel mit umweltschädlichen Lösemitteln und mehrstündigen Trocknungszeiten, gehören inzwischen der Vergangenheit an. Die gesamte Plattenverarbeitung ist ökologisch und in weniger als dreißig Minuten fertig!
„Vor 25 Jahren steckte die Automatisierung der Druckvorstufe noch in den Kinderschuhen.“
Am Ende führen diese Fortschritte zu einer immer höheren Produktivität einerseits, aber auch zu höheren Qualifikationsanforderungen an das Personal andererseits.
Stanzen – immer eine heikle Arbeitsstufe
Zu den führenden Herstellern von Stanzgeräten und Stanzblechen gehören heute vier deutsche Firmen: Kocher+Beck, Wink, Electro Optic und Spilker. Vor einem Vierteljahrhundert war es bereits dieselbe Quadriga! Das Stanzen von SK-Etikettenmaterial muss haargenau geregelt sein, um nur das Obermaterial durchzuschneiden, ohne die Silikonschicht und das Trägermaterial zu beschädigen. Stanzaggregat, Magnetzylinder und Stanzblech müssen genau aufeinander abgestimmt sein, um Probleme beim Gitterabzug oder beim Spenden der Etiketten zu vermeiden. In den letzten 25 Jahren haben alle Hersteller namhafte Fortschritte realisiert, sowohl in der Genauigkeit des Stanzens als auch in der Härte und Beständigkeit der Stanzbleche.
Aber ein Eindringling stürzt dieses mechanische Verfahren: die Laserstanztechnologie. Vor ungefähr zehn Jahren fingen Unternehmen wie Applied Laser Engineering, SEI Laser und Spartanics an, digitalgesteuerte Laserstanzmaschinen „als Ergänzung zum Digitaldruck“ zu vermarkten. Die Vorteile des Laserstanzens waren – und sind – im Workflow zu suchen. Kleine Auftragsgrößen? Kein Problem: Mit Laserstanzen springt man ohne Rüstzeit und ohne Materialverlust von einem Auftrag zum nächsten, genau wie beim Digitaldruck. Der Nachteil des Laserstanzens bleibt nach wie vor die Geschwindigkeit. Die neue Generation von Laserstanzmaschinen ist zwar schneller, aber noch wesentlich langsamer als ein mechanisches Stanzsystem.
Viele sind noch an der Spitze
Viele Maschinenhersteller, die vor 25 Jahren marktführend waren, sind heute noch an der Spitze. Allerdings hat die digitale Revolution große Umwälzungen verursacht. Hinsichtlich Druckqualität und Maschinentempo nähert sich der Digitaldruck konventionellen Drucktechnologien. Die Produktivität der Etikettenverarbeiter ist seit 1993 enorm gestiegen und sowohl Personal als auch Management benötigen neue Kompetenzen.
*John Penhallow – Der Journalist ist seit mehreren Jahrzehnten in den Bereichen Papier, Verpackung und Etiketten unterwegs. Darüber hinaus war er längere Zeit für die Organisation der Messe Labelexpo Europe in Brüssel, Belgien, zuständig. Heute ist er in Frankreich ansässig und arbeitet als Autor für französische, deutsche und amerikanische Fachzeitschriften der Druckindustrie.