Die Etikettenindustrie zwischen Dichtung und Wahrheit
von Redaktion Etiketten-Labels,
Nach vier Messetagen und – laut des Messeveranstalters Tarsus – fast 38.000 Besuchern endete die Labelexpo am 27. September mit einer positiven Bewertung der rund 690 Aussteller. Eine persönliche Bewertung unseres Autors John Penhallow.
Die Qualität und Anzahl der Besucher und ihrer Investitionsprojekte wurde von den Veranstaltern positiv beurteilt. Allerdings hatte die diesjährige Labelexpo nur wenige bahnbrechende Ankündigungen, wie in vorherigen Jahren mit der massiven Einführung von Inkjet- und Hybrid-Druckmaschinen, vorzuweisen. Nichtsdestoweniger wetteifern die führenden Maschinenhersteller, indem sie stolz die Anzahl der während der Messe abgeschlossenen Kaufverträge bekanntgeben. Für Lombardi waren es fünf Maschinen in den ersten zwei Tagen der Messe, für MPS zwölf Druckmaschinen und für Mark Andy sage und schreibe „zwanzig bedeutende Kaufverträge“ während der vier Messetage.
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Ähnliche Erfolgsgeschichten schallen von den Presseagenturen vieler anderer Aussteller. Es geht also noch immer aufwärts? An und für sich ja, aber der umgreifende Optimismus ist mit Vorsicht zu genießen. Viele bekennen, dass der weltweite Etikettenmarkt eine gewisse Reife erreicht hat. Nur in Ostasien findet man die Wachstumsraten, die vor einigen Jahren auch in Europe Gang und Gebe waren. Die FINAT meldete für 2018 einen Zuwachs von SK-Materialien von lediglich 1-2%, um einiges bescheidener als im Vorjahr. In Frankreich wurde 2018 sogar ein Rückgang von einem Prozent verzeichnet. Das ist teilweise auf die allgemeine Wirtschaftslage zurückzuführen. Zu den anhaltenden Spannungen zwischen den USA und China kommt für Europa das andauernde Risiko eines ungeregelten EU-Austritts Großbritanniens.
Farbe bekennen
Zu jeder Drucktechnologie und zu jedem Trocknungsverfahren gehören spezifische Druckfarben. Ein Füllhorn für die führenden Druckfarbenproduzenten wie Sun Chemical, Siegwerk und Flint: „Beim Wachstum geht es nicht nur um Digitaldruck“ meint Benoit Chatelard, der vor kurzem ernannte Geschäftsführer der Flint Group Digital Solutions Division. „Die Statistik zeigt, dass Flexodruck auch noch ein gutes Wachstum aufweist.
Nur 15% des Volumens besteht aus digital gedruckten Etiketten, und die Segmentierung in mehrere Technologien – Toner, Inkjet, Laser – erhöht auch die Wachstumschancen. Toner zum Beispiel ist langsamer, jedoch kostengünstiger und besser für Lebensmitteletiketten. UV-Inkjet ist für andere Anwendungen geeignet “. Die Flint Gruppe ist nicht nur in Druckfarben und -formen führend, sondern hat auch die Firma Xeikon übernommen. Nicht viel anders sieht es bei (relativ) kleineren Druckfarbenherstellern wie z.B. GSB Wahl aus. Firmeninhaber Jochen Wahl, dem wir auf seinem Stand auf der Labelexpo begegnet sind, prophezeit der Flexo-UV-Technologie ebenfalls noch rosige Zeiten. „Unser Kundenkreis besteht prinzipiell aus Etikettenverarbeitern, die mit UV-Flexo-Farben drucken. Spezielle LED-Farben sind zwar im Kommen, aber für die meisten Zwecke noch nicht rentabel – und Digitaldruckfarben interessieren uns im Moment nicht, da ein Unternehmen wie das unsere mit ihnen nichts verdienen kann“. Anders ist es für GSB Wahl mit dem wasserlosen Offset. In Zusammenarbeit mit Codimag (F) und anderen Maschinenherstellern hat der Farbenhersteller eine neue migrationsarme UV-Farbserie für den wasserlosen Offsetdruck entwickelt und auf der Labelexpo vorgestellt. Laut Jochen Wahl wurden diese neuen Druckfarben auf der neuen Aniflo 420 von Codimag erfolgreich eingesetzt und den Kunden der Labelexpo präsentiert. Bei diesen Vorführungen wurden Druckgeschwindigkeiten von bis zu 80 m/min. erreicht.
Haftmaterialien – wann kommt die grüne Revolution?
Andere Faktoren spielen bei der langfristigen Entwicklung der Etikettenindustrie eine Rolle. Wie bei Farben, Lacken und Klebstoffen, so auch bei Druckmaterialen aller Art geht es zunehmend um „grünes“ Denken und Abfallreduzierung. Avery Dennison, als weltweit führender Produzent von Haftmaterialien, bringt fast wöchentlich neue und umweltfreundlichere Produkte auf den Markt. Averys rPE (Recycled Polyethylene) ist schon verfügbar, und bald kommen auch rPP und rDT hinzu. Trägermaterial gibt es auch aus teilwiese (30%) zurückgewonnenen Abfallmaterialien.
Pascale Wautelet, Averys Vizepräsident für R&D/Etiketten und Grafik meint, dass der begrenzende Faktor nicht so sehr im chemischen, sondern im menschlichen Bereich liegt. „Der Zyklus der Wiederverwertung sowohl für Papiere als auch für Kunststoffe lässt überall zu wünschen übrig, sogar in Deutschland, von nicht-europäischen Ländern gar nicht zu reden. Eine chemische Verwertung ist besser als eine mechanische, aber in allen Fällen brauchen wir als Haftmaterialproduzent ein hochqualitatives Rohmaterial – und das ist unter heutigen Bedingungen weder qualitativ noch mengenmäßig verfügbar“.
Mehrere Haftmaterialproduzenten bieten heute Obermaterialien mit hohem Anteil an zurückgewonnenen Rohstoffen. Die Unreinheiten sind aber in Form von winzigen grauen Flecken sichtbar. „So kann der Endverbraucher sehen, dass er zum Schutz der Umwelt beiträgt“, meint mit lobenswertem Optimismus der Marketing-Leiter eines Haftmaterialproduzenten. Und keiner der führenden Hersteller wagt zu sagen, welche Mengen von recycelten Oberflächenmaterialien er bis dato verkauft hat!
Fortschritt im Schneckentempo
Bei der Wiederverwertung von gebrauchtem Trägermaterial bewegt sich der Fortschritt im Schneckentempo. Da stellt sich die Frage, wann wir endlich zu einem Durchbruch bei trägerlosen Haftmaterialien kommen? In und um Brüssel stand diese Frage oft zur Debatte, und speziell bei der von AWA veranstaltete Tagung ‚Linerless Labelling’. Der italienische Haftmaterialproduzent Ritrama ist seit Jahren federführend in trägerlosen Etiketten für Flaschen und andere zylindrische Produkte.
Zu diesem Zweck wurde ein Team gebildet, das aus Ritrama, Omet (Laminierungstechnologie), Spilker (Weiterverarbeitung) und Ilti (Etikettierung) besteht. In seinem Vortrag während der AWA-Tagung hat Sergio Veneziani betont, dass bei Linerless eine Gesamtlösung angeboten sein muss. Im Ritrama-Verfahren wird ein durchsichtiger Träger kurz vor der Etikettierung umgedreht und auf der Etikettenoberfläche geklebt, wo er sie vor Beschädigungen schützt. Das ganze Etikett einschließlich Träger, laut Ritrama, kann in der Stärke bis nur 42 Mikron heruntergehen.
Dem Haftmaterialproduzent Herma ist es gelungen, eine ganz andere Lösung zu entwickeln. Bei Herma geht es nicht um Flaschen- sondern um Versandetiketten – das soll für 2020 hundert Milliarden Etiketten bedeuten! Trägerlose Etiketten werden in der Regel durch Hitze aktiviert, was die Geschwindigkeit der Etikettierung stark reduziert. Mit dem Inno-Liner System von Herma erfolgt die Aktivierung mit Wasser! Markus Gablowski, der bei Herma die Spezialbeschichtungsgruppe leitet, zählt die Vorteile auf: „Diese Etiketten sind silikonfrei, und können farbig gedruckt werden. Der Etikettenverarbeiter und seine Kunden können aus einer breiten Vielfalt an Etikettenmaterialien wählen, und vor allem, die Kosten für Entsorgung des Trägermaterials entfallen komplett“.
Die Zukunft gehört den Hybriden – oder?
Eines ist klar. Der Hemmschuh der ersten Hybriden – ein aneinander Vorbeireden der Softwaresysteme von Flexo und Digital – ist jetzt zum Großteil überwunden worden. Die Aussteller bei der diesjährigen Labelexpo befürworten sogar eine Art von multilateraler friedlicher Koexistenz verschiedener Verfahren: herkömmliche Druckmaschinen (UV-Flexo- oder Halb-Rotations-Offset), Toner-Druckmaschinen (flüssig und trocken) und Inkjet (UV oder wässrig). Bei der Entwicklung von Hybrid-Druckmaschinen redet jeder von Partnerschaften: Omet mit Durst, Nilpeter mit Screen, usw. Auch die Grenze zwischen Flexo und Digital wird neblig. Epson zum Bespiel macht grundsätzlich nur Digitaldruckmaschinen – aber mit einer Flexo-Einheit als Option und Domino ist jederzeit bereit, in einer bestehenden Flexo-Maschine eine Inkjet-Einheit einzubauen. Labelexpo Europe, aber mit Europe immer kleiner geschrieben.
Immer mehr Firmen aus Ostasien stellen bei der Labelexo in Brüssel aus. Diesmal kamen 90 Aussteller aus China, 25 aus Indien. Die Amerikaner waren wie immer gut vertreten mit rund 60 Ausstellern, die Japaner mit lediglich sechs, was eher zu bewundern ist mit Hinblick auf den Einbruch japanischer Technologien im Bereich Digitaldruck.
Fazit
Labelexpo-Besucher und Aussteller waren generell zufrieden, auch wenn hie und da mehr Dichtung als Wahrheit in der Satisfaktion zu vermuten war, denn der Gesamtmarkt für SK-Etiketten stagniert. Haftmaterialien werden „grüner“, aber es fehlt an zurückgewonnenen Rohstoffen; Trägermaterialien werden allzu selten wiederverwertet. Deswegen könnte Linerless an Marktanteil gewinnen. Hybriden blühten überall auf der Messe, mit vielen Partnerschaften Flexo/Digital. Immer mehr Aussteller stammen aus Ostasien. [11040]