Editorial - Gedanken vor der Labelexpo Europe 2017

Sind große Messen noch zeitgemäß?

Labelexpo Brüssel
Kurz vor der Labelexpo Europe 2017 in Brüssel befragte Etiketten-Labels Redaktionskollegen zur Bedeutung großer Fachmessen

Die Labelexpo Europe in Brüssel 2017 steht unmittelbar bevor und natürlich stellt sich die Frage, ob und wie lange man nach Brüssel reisen sollte. Messen wie diese bieten einen großen Vorteil: alle wichtigen und namhaften Zulieferer und Geschäftspartner findet man konzentriert an einem Ort. In ein bis zwei Tagen hat man das Wichtigste gesehen und einen Überblick über die neuesten Trends und Technologien bekommen. Etiketten-Labels befragte Kollegen.

Oftmals bekommt man zu hören, dass man sich über das Internet schneller informieren, Zeit und Kosten sparen und gezielter Informationen abrufen könne. Ich denke, dass ist nicht ganz richtig. Auf einer Messe bekomme ich viele Neuheiten und Unternehmen zu sehen, die ich über das Internet vielleicht gar nicht erst aufgerufen hätte. Auf der Labelexpo kann ich das persönliche Gespräch mit meinen Ansprechpartnern führen und bei entsprechender Vorbereitung noch eine individuelle Vorführung, beispielsweise der gewünschten Maschine, bekommen.

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Michael Scherhag
Michael Scherhag, verantw. Redakteur Etiketten-Labels

Für mich spricht eigentlich alles für einen Besuch der Labelexpo. Der persönliche Kontakt zu meinen Ansprechpartnern ist einfach durch nichts zu ersetzen. Beim Rundgang über die Messe findet man so manches Unternehmen oder manche technische Lösung, mit der man nicht gerechnet hätte. Und ein ungezwungener Blick über den Tellerrand hat mir auch noch nie geschadet. Wie sehen das andere Fachleute unserer Branche?

In beiden Disziplinen vorne dabei sein

Ansgar Wessendorf, Redakteur Flexo+Tief-Druck und Chefredakteur G&K TechMedia: Messen sind kein billiges Vergnügen und geraten daher auch häufig auf den Prüfstand. Sind Messen noch zeitgemäß oder sollte man sein Geld besser in eine gute Präsenz in den Websites, Magazinen und Social Media-Kanälen der einschlägigen Fachpublikationen (z.B. Etiketten-Labels oder NarrowWebTech) investieren? Die Wahrheit ist: Wer auch in Zukunft eine Rolle spielen möchte, der sollte mit allen Mitteln versuchen in beiden Disziplinen ganze vorne mit von der Partie zu sein. Immer mehr Menschen recherchieren heute Produkte oder Leistungen im Internet – eine gute Onlinepräsenz ist für Firmen heute zweifelsfrei nicht verzichtbar. Doch das lässt keinesfalls die Schlussfolgerung zu, dass der persönliche Kontakt mit den Entscheidern und Einkäufern vernachlässigt werden darf. Wer seinen Platz räumt, der macht den Weg frei für die Konkurrenz.

„Wer seinen Platz räumt, der macht den Weg frei für die Konkurrenz.“

Im direkten Kontakt mit den Kunden erhält der Aussteller ein unmittelbares Feedback. Sicher gibt es heute Techniken, um auch auf der Webseite Vorteile von Produkten darzustellen – etwa mit Videos. Aber dort ist man nur Sender und bekommt keine Rückmeldung. Darüber hinaus schafft der persönliche Kontakt Vertrauen und das ist auch heute noch eine sehr entscheidende Grundlage für eine gute Zusammenarbeit. Aber es sind vor allem die etablierten Großmessen mit globaler Bedeutung, wie beispielsweise die Labelexpo, Drupa, Interpack oder „All in Print“, die erfolgreich sind. Viele mittelgroße und kleine Messen tun sich schwer oder sind von der Bildfläche verschwunden.

Ansgar Wessendorf
Ansgar Wessendorf, Redakteur der Zeitschrift Flexo+Tief-Druck, über den Wert von Messebesuchen in der heutigen Geschäftswelt Quelle: G&K TechMedia

Selbst Kleinunternehmen und Mittelständler sind heute global unterwegs. Sie müssen mit ihren begrenzten Budgets genau überlegen, auf welche Messen sie präsent sein müssen. Letztendlich wird es jedoch darauf ankommen, mit welchen Mix an Kommunikationsmitteln die Kunden am besten erreicht werden können. In dieser Hinsicht werden in Zukunft die Fachpublikationen mit ihren Informationskanälen und einer Vielzahl an Marketinginstrumenten als kostengünstigere Alternative ihre Stellung weiter ausbauen.

Zudem entwickeln sich die Zulieferer immer mehr zur Konkurrenz von Messeveranstaltern. In den firmeneigenen Technologiezentren oder Akademien werden mit Partnern Großveranstaltungen organisiert, wo Produktlösungen vorgestellt und live präsentiert werden. Ein Kunde, der z.B. in eine neue Etikettendruckmaschine investieren möchte, wird zum Vergleich alle relevanten Maschinenhersteller besuchen. Dabei wird Kost und Logis meist von den Zulieferern übernommen.

Produkte vergleichen und kommunizieren

Anthony White, Redaktionsbüro Großbritannien: Messen bringen beide Seiten in einer entspannten Atmosphäre zueinander. Für potenzielle Kunden handelt es sich dabei um eine einfache Möglichkeit, um ihre technischen Kenntnisse zu aktualisieren und die Produkte der Wettbewerber in einem kurzen Zeitraum miteinander zu vergleichen. Für den Hersteller oder Lieferanten stellt die Messe einen Zielpunkt für die Entwicklung und die Einführung neuer Produkte dar.

„Messen bringen beide Seiten in einer entspannten Atmosphäre zueinander.“

Anthony White
Anthony White, Redaktionsbüro Großbritannien, kennt die Branche so gut und lange wie kaum jemand Quelle: G&K TechMedia

Die letzten Besucherzahlen von einigen der größten Messen, insbesondere in der Etiketten- und Druckindustrie, zeigen, dass die Zahl der ausstellenden Unternehmen mit jedem Jahr steigt, während die Besucherzahlen im Allgemeinen nicht mit der gleichen Rate gestiegen sind. Es ist aber festzustellen, dass sich das Profil der Besucher verändert hat und immer mehr wichtige Entscheidungsträger einen immer höheren Prozentsatz der Besucher ausmachen. In den vergangenen Jahren hat sich die Technologie mit einer solchen Geschwindigkeit weiterentwickelt, dass es für ein Unternehmen mitunter schwer sein kann, mit den rapiden Änderungen mitzuhalten – trotz Fachmagazine und Online-Portale, auch wenn diese Methode der Kommunikation oftmals der erste Hinweis darauf ist, dass bald ein neues Produkt veröffentlicht wird.

Dennoch erfüllen diese wichtigen Handelsmagazine eine zentrale Funktion, wenn es darum geht, die potenziellen Besucher darauf einzustellen, auf was sich die Aussteller bei einer bestimmten Messe konzentrieren werden. So können diese ihren Besuch besser planen und ihre Zeit effektiver nutzen. Ich glaube, dass Messen auch weiterhin eine einfache und verhältnismäßig günstige Option für den Lieferanten darstellen, Wissen zu verbreiten, und für den Kunden eine einfache Möglichkeit bieten, die Trends in einem speziellen Sektor zu verfolgen.

Einige Messen sind eindeutig notwendig

John Penhallow, Redaktionsbüro Frankreich: London legte im Jahr 1851 mit der „Great Exhibition of the Works of Industry of All Nations“ den Grundstein. Diese Messe dauerte achtzehn Wochen, und über sechs Millionen Besucher kamen, um sich die Wunder der industriellen Revolution anzusehen. Deutschland, Frankreich und andere Länder folgten diesem Vorbild. 1935 fand eine der letzten Messen vor dem Krieg in einem speziell für diesen Zweck erbauten Messezentrum in Brüssel statt. Während sich die Technologie weiterentwickelte, wurden die Ausstellungen immer spezialisierter. Die Wright Brothers hielten 1910 die erste Flugschau ab; die erste wichtige internationale Fachmesse der Druckindustrie, die drupa, wurde erstmals 1951 abgehalten.

John Penhallow
John Penhallow, Redaktionsbüro Frankreich Quelle: John Penhallow

Die erste Messe für Etiketten fand Anfang der 80er Jahre in England statt. Im letzten Quartal des 20. Jahrhunderts und während des ersten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts florierten Messen in allen Formen und Größen. Die Finanzkrise der Jahre 2007-2009 bremste dieses Wachstum aus; danach sollten die Messen jedoch wieder einen Aufschwung erleben. Einige tun das. Aber in vielen Fällen ist das nicht der Fall. In der Druck- und Verpackungsindustrie gingen die Besucherzahlen der drupa von 428.000 im Jahr 2000 auf 260.000 im letzten Jahr zurück, was einen Rückgang von beinahe 40% ausmacht!

Warum besuchen Menschen Messen? Das Pflegen der Beziehungen zu Kollegen, Wettbewerbern und Lieferanten ist immer noch ein Hauptgrund, trotz Internet, Facebook und anderer moderner Kommunikationskanäle. Denn es ist immer noch nicht möglich, über Skype mit jemanden etwas trinken zu gehen. Ein anderer Grund ist oftmals die Tatsache, dass man die Maschinen selbst sehen will. Nur wenige Unternehmen würden eine Druckmaschine oder anderes wichtiges Equipment kaufen, ohne dies vorher mit den eigenen Augen gesehen zu haben oder zu wissen, wie diese funktioniert. Und welcher Ort eignet sich besser zum Vergleich der Leistung der konkurrierenden Marken als eine Messe? Hinzu kommen (zumindest in Europa) die unkomplizierten Reisemöglichkeiten ohne Visa, auf Autobahnen, mit schnellen Zügen oder günstigen Fluggesellschaften.

„Nur wenige Unternehmen würden eine Druckmaschine kaufen, ohne sie vorher mit den eigenen Augen gesehen zu haben.“

Es bleibt also die Frage warum bestimmte Messen Besucher verlieren. In einigen Fällen muss man dem Ort der Veranstaltung zumindest eine Teilschuld geben. Besucher haben vorgefasste Vorstellungen und Messen in den englischen Midlands oder in Nordfrankreich haben ein Imageproblem. Nicht zuletzt ist die Suche nach einer Unterkunft. Jeder, der schon einmal versucht hat, während einer großen Messe ein Hotelzimmer in Düsseldorf zu bekommen, kennt das altbekannte Problem. Auch gehen Messezentren nicht immer mit dem Wandel der Zeit. Der Brüsseler Parc des Expositions bot bei seinem Bau im Jahr 1935 die modernste monumentale Architektur, die jedoch weit entfernt sind von einem Großteil der Annehmlichkeiten, die 2017 benötigt werden (er wurde erst dieses Jahr renoviert).

Einige Messen sind eindeutig notwendig. Und Brüssel hat mit seiner guten Kommunikation, der guten Unterkunft und – nicht zuletzt – dem guten Essen zum Erfolg von Labelexpo Europe in den vergangenen Jahren beigetragen.

Viel Wettbewerb auf dem Markt

Rosina Obermayer, Redakteurin NarrowWebTech: Gerade in den letzten Jahren kristallisieren sich Wettbewerber auch seitens der Unternehmen hervor. Einladungen zu Inhouse-Expos, Open-houses und technische Seminare nehmen zu, organisiert von Maschinenherstellern in Kooperation mit Zulieferern und Kunden. Open-house-Veranstaltungen z. B. von Gallus (Innovation Days im vergangenen Herbst), Mark Andy (März diesen Jahres), Nilpeter (Digital Printing Spectrum in den USA), Omet (diesen Frühling in Italien) oder Durst (Digital Days vor zwei Jahren) sind die besten Beispiele für diese Entwicklung. Zusätzlich nimmt die Zahl und vor allem Große von Inhouse Messen zu: Xeikon Café, Hunkeler Innovation Days und IST Metz‘ UV Days, um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen. Die Liste lässt sich beliebig verlängern.

Rosina Obermayer
Rosina Obermayer, Redakteurin für die Zeitschrift NarrowWebTech Quelle: G&K TechMedia

„Gerade in den letzten Jahren kristallisieren sich Wettbewerber auch seitens der Unternehmen hervor.“

Im Gegensatz dazu scheint es, dass manche Messe ihre „Ruhebereiche“ in den Messehallen vergrößern oder mehrere Veranstaltungen vereinen sich zu einer wie die neugeschaffene Messe Print4All beweist. Alles in allem ist es durchaus sinnvoll, relevante Messen und Verbandsveranstaltungen zu besuchen. Gerade an der Labelexpo Europe kommt niemand vorbei, der mit Etikettenproduktion zu tun hat. Zu groß ist das Interesse sowohl von Besucher- als auch von Ausstellerseite. Nicht ohne Grund ist die übliche Verabschiedung in den Wochen oder sogar Monaten zuvor: „Wir sehen uns in Brüssel!“.

 

 

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